NS - Zwangssterilisationen in Wien
Claudia Andrea Spring, Zwischen Krieg und Euthanasie. Zwangssterilisationen in Wien 1940-1945. Mit einem Vorwort von Edith Saurer. Wien, Böhlau 2009.
Das Buch wurde mit dem Michael-Mitterauer-Preis für Gesellschafts- Kultur- und Wirtschaftsgeschichte 2009 und dem Wiener Preis für die Erforschung der Geschichte des Nationalsozialismus/Irma Rosenberg Preis 2010 ausgezeichnet.
Zum Inhalt:
Mindestens 400.000 Menschen, annähernd gleich viele Frauen und Männer, wurden, wie die Historikerin Gisela Bock für ihre grundlegende Studie zur nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik aufzeigte, zwischen 1934 und 1945 in NS-Deutschland und den besetzten Gebieten zwangssterilisiert. Für die ehemalige „Ostmark“, wo mangels Quellen nur Schätzungen möglich sind, geht der Historiker Wolfgang Neugebauer von etwa 6.000 Menschen aus, für Wien konnten 1.203 Beschlüsse zur Zwangssterilisation rekonstruiert werden.
Rechtliche Grundlage dieses schwerwiegenden Eingriffs mit seinen lebenslangen Folgen bildete das nationalsozialistische „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (GzVeN).
Das GzVeN sah vor, dass Menschen, bei denen
- "angeborener Schwachsinn"
- "Schizophrenie"
- "manisch-depressives Irresein"
- "erbliche Fallsucht"
- "erblicher Veitstanz"
- "erbliche Blindheit"
- "erbliche Taubheit"
- "schwere erbliche körperliche Mißbildung" oder
- "Alkoholismus"
diagnostiziert wurde, auch gegen ihren Willen, also zwangsweise sterilisiert werden konnten.
Ausgehend von der Beschlusssammlung des Erbgesundheits- und Erbgesundheitsobergerichts Wien wurden juristische, medizinische, soziale und geschlechtsspezifische Aspekte zum Vollzug des Gesetzes in Wien zwischen 1940 und 1945 untersucht:
- zum formalen Vollzug des Gesetzes in Wien
- zur Zusammenarbeit der Gerichte mit dem Gesundheitsamt, den Heil- und Pflegeanstalten Am Steinhof und Gugging, der „Wiener städtischen Jugendfürsorgeanstalt Am Spiegelgrund“ und der „Arbeitsanstalt für asoziale Frauen und Mädchen“;
- zu den verantwortlichen Juristen und Ärzten, ihren ideologischen Positionen und Karrieren und der Mitwirkung einiger von ihnen bei der Ermordung von Menschen im Rahmen der NS-Euthanasie;
- zu den Frauen und Männern, die zwangssterilisiert werden sollten. Mangels sonstiger Quellen geben nur die Gerichtsbeschlüsse Auskunft über sie, doch zeigen vor allem die Beschwerdeverfahren beim Erbgesundheitsobergericht eindrücklich, wie sehr sich viele von ihnen gegen die Diffamierung als „erbkrank“ bzw. als „minderwertig“ und den Zwangseingriff wehrten.
Das Buch endet mit einem Ausblick in die Zweite Republik – auf die Freisprüche und Orden für die Richter und Ärzte der Erbgesundheitsgerichtsbarkeit, die Reduktion der Folgen der Zwangssterilisationen „auf eine Operationsnarbe“ (Robert Krieg) im juristischen und medizinischen Diskurs und die Ablehnung der „Entschädigungsanträge“ zwangssterilisierter Frauen und Männer bis 1995 bzw. 2005, dem Jahr ihrer uneingeschränkten Anerkennung als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung im Opferfürsorgegesetz.